Dr. Degreif


Zwischen Hoffen und Bangen

Mir gefallen die Bilder von Hannelore Fehse, aber in den Dörfern ihrer Motive verweile ich selten.
Ich kenne Aufhausen, Scharenstetten oder Nellingen vom Durchfahren und auch vom Wandern. Die Gebäude dort setzen
sich nicht in der Erinnerung fest. Die Landesstraße, die fast jede Gemeinde in Richtung Autobahnanschluss
durchschneidet, fordert die meiste Aufmerksamkeit. Plätze gibt es wenige, man ist schon froh, dass sich eine
Bäckerei oder eine Gaststätte erhalten haben. Ohne Auto läuft auch hier schon lange nichts mehr.

Im Unterschied zu Fehses Bildern ist der Boden dort nicht türkis und der Himmel nicht dunkelbraun. Die Häuser in
jenen Gemeinden sind nicht farbig gestrichen und sie haben auch keine schwarzen Dächer. Es gibt Fenster und Türen
und meist steht ein Auto oder ein landwirtschaftliches Gerät in der Zufahrt. In der Reihe dahinter zieren
Fotovoltaikanlagen die Dächer, sie schimmern blau und grau. An den Ortseinfahrten treffe ich auf Gebäude mit
Dachgauben und mit Wintergärten. Fehses Bilder hingegen sind ohne Menschen, ohne Tiere, ohne Bäume, ohne Fahrzeuge.
Lediglich die Dachvorstände für die Nester der Schwalben hat sie erhalten. Es wäre unangemessen Hannelore Fehse
eine Realistin zu nennen. Eher eine, die Ordnung schafft und für Klarheit sorgt. Dafür braucht es Distanz.

In ihren Bildern wird nichts erzählt. Das geht auch nicht, denn es sind Dörfer und Häuser gesehen im Vorbeifahren.
Mit dem Auto, mit der Bahn, jedenfalls nicht zu Fuß. Wie mit dem Blick aus einem Fahrzeug scheinen diese Baukörper
an mir vorbeizugleiten. Ich nehme ihre Fassaden wahr und die Dächer. Indem die Künstlerin diese zu einfarbigen
Flächen weitet und sie auf einen außerhalb des Bildes liegenden Punkt fluchtet, verstärkt sie die Dynamik des
Vorbeiziehens.

Fehses Blick richtet sich nicht aufs Rathaus oder den Kirchenbau, auch nicht auf den Kindergarten oder die Sporthalle.
Sie blickt auf Relikte der landwirtschaftlichen Epoche. Die Gebäude entstammen der Realteilung, einer Zeit, als der
Hof und die zu ihm gehörenden Flächen entsprechend der Anzahl der Söhne geteilt wurden. Über viele Generationen
enthielten solche Anwesen in sich den Keim zur Verkleinerung, wie auch den lebenslangen Versuch, das Abgegebene
durch Zupachten wettzumachen. Zu einem Hof gehörten Scheune, Ställe und Verschläge. Schon am Tor zeigten sich
die Nutzer: Um den Wagen einzustellen, konnten beide Flügel geöffnet werden, Menschen ließ eine Tür im Tor ein,
für die Katze tat es eine Luke. Vielfältige bauliche Gliederungen ließen sich ausmachen: Der Teil für den Bauern
und seine Familie, der für die Großeltern, der für Magd und Knecht. Auch die Räume der Tiere waren außen ablesbar:
Der Stall für die Pferde, für die Kühe, für die Schweine wie für die Hühner. Haus und Hof fanden sich unter einem
gemeinsamen Dach, das sich aus mehreren Schrägen zusammensetzte. Etwas von dieser Maßstäblichkeit findet sich in
den Bildern. Einerseits.

Andererseits hallt in ihnen der Modernisierungsschub der 60er und 70er Jahre nach. Weg vom Kleinklein, hin zu
größeren Einheiten, weg von der Vielheit, hin zur Wirtschaftlichkeit. Mancher entschied sich fürs Aussiedeln.
Fehses architektonische Gefüge tendieren zum Einzelhof, sie tendieren zum Aussiedeln. Man schaut sie an, aber
sie schauen nicht zurück.

Wo Tiere stehen, wo Schubkarren zum Einsatz kommen, wo Misthaufen seit Generationen aufgehäuft und umgesetzt
werden, da herrscht eine andere Ordnung. Eine solche Nutzung gehört der Vergangenheit an, das spiegeln diese
Bilder. Mit dem Abstand von einer, mancherorts zwei Generationen erfasst der Blick nur noch die Ummauerung.
Fehses Gebäude verwandeln das über Generationen Gewachsene in ein Substrat, sie nähern sich architektonischen
Modellen. Indem die Künstlerin die Gebäude malt, baut sie sie gleichsam nach und errichtet das Gefüge einer
ehemals ländlichen Ansiedelung, die einen Strukturwandel durchlebte.

Hannelore Fehse arbeitet mit starken Kontrasten. An eine hell beleuchtete Wand lässt sie eine unbeleuchtete
Mauer grenzen. Eine strahlend weiße Fassade stützt ein Dach, dunkel wie bei Nacht. Die Künstlerin macht sich
frei von konkreten Lichtverhältnissen, sie verlässt die Bedingtheit des Augenblicks und schafft sich ihre
eigene Zeit. Darin tauchen die Gebäude auf wie aus der Erinnerung. Vermutlich ist es deswegen so still.

Zwischen den Polen Zeichnung und Malerei bewegt sie sich deutlich bei der Malerei, mit einem kräftigen Zug
ins Grafische. Sie schafft sich ein konstruktives Gerüst, legt die Umrisse fest und weitet die Flächen. Sie
entfernt den Tiefenraum und löst die Volumen auf. Mittels Positiv-Negativ-Effekten verwandelt sie manches
Anwesen in eine Art architektonisches Bildzeichen.

Reduzieren heißt nicht nur etwas weglassen, es bedeutet auch vom Individuellen zum Allgemeinen zu gehen.
Fehses Bilder enthalten beides – das Individuelle wie das Generelle. Während sich in den Gemeinden an fast
jedem Haus Unterschiedliches ablesen lässt, werden sie in den Gemälden ein Stück weit ortsunspezifisch.
Indem Baum und Straße, Horizont und Umgebung entfernt werden, nimmt die Künstlerin ihnen das Einmalige.
Dafür zeigt sich das Typische, das regional Charakteristische.

Man darf Hannelore Fehse eine malende Chronistin nennen. Was sie ins Bild bannt, das ist dabei zu entschwinden,
vielerorts hat es sich fast ganz zurückgezogen. Die Künstlerin rückt es noch einmal ins Bewusstsein. Sie
schwankt dabei zwischen der Hoffnung, dass sich auch uns die Maßstäblichkeit dieser Gebäude und Dörfer
als etwas Schönes und Erhaltenswertes mitteilt, und der Ahnung, dass es zu spät ist. Sie schwankt zwischen
dem, was sie sehen kann und dem, was sie sehen muss. Ihre Bilder enthalten Sehnsucht und Traurigkeit. Der
Wandel wird fortschreiten, wir werden ihn nicht aufhalten. Aber bedauern dürfen wir ihn und ihn mit der
Künstlerin einen Verlust nennen.

Dr.Uwe Degreif, Museum Biberach, Braith-Mali-Museum

 

Between Hope and Fear

I like Hannelore Fehse’s pictures, but I rarely linger in the villages that they depict. I got
to know Aufhausen, Scharenstetten, Nellingen and Temmenhausen by passing through these
villages or while hiking on the Swabian Alb. The buildings in these locations are not
memorable. Most of one’s attention is devoted to the country road traversing nearly every
parish on its way to the autobahn. There are few public places left and it’s a pleasant surprise if
one comes across a bakery or a pub. Nothing has moved without a car for a long time.

In contrast to Fehse’s paintings, the ground isn’t turquoise and the sky isn’t dark brown.
The houses in those villages are neither painted in colours nor do they have black roofs. There are
doors and windows and mostly a car or some agricultural machinery standing on the drive. In
the row behind, photovoltaic devices decorate the roofs, gleaming blue and gray. At the
entrance to villages, I come across buildings with dormer windows and conservatories. In
contrast, Fehse’s paintings don’t display people, animals, trees or vehicles. She retains the
overhang of the roof solely for the swallows’ nests. To call Hannelore Fehse a realist would be
inappropriate. She can be more accurately described as a person who is putting things straight
and paying attention to clarity. This requires distance.

In her paintings nothing is narrated. Anyway, this would have been impossible, because the
villages and houses are seen while driving past by car, by railway but certainly not on foot. Like
a fleeting glance from a vehicle, these buildings seem to glide past. The impression reflects
their facades and roofs. By expanding these to monochrome surfaces and by aligning them
with a point outside the picture, the artist is enforcing the dynamic of transition.

Fehse’s view is neither directed towards town hall or church, nor in direction of nursery school
or sports hall. She is looking on relics of a rural era. The buildings stem from the time of
“gavelkind”, when house and farm were divided according to the number of sons. Over many
generations, such properties bore the fruit of diminishment as well as the lifelong attempt to
compensate for the loss by renting ground. A farm consisted of barn, stables and sheds. The
occupants revealed their character right at the gate: both leaves could be opened to
accommodate the carriage, people entered through a door and there was just a flap for the
cats. Different parts of the buildings were recognisable: the part for the farmer and his family,
the one for the grandparents and that for a maidservant and farm hand. The dwellings for the
livestock could be spotted from outside: stables for horses, cows, pigs and chicken. House and
farm dwelt under a common roof, made up from different inclined surfaces. On one hand,
parts of this arrangement can be traced in the pictures.

On the other hand, they contain the push for modernisation which occurred during the 60’s
and 70’s, deserting small details for larger modules and variety for economic efficiency.
Many farmers decided to leave. Fehse’s architectural textures tend towards single buildings, they
tend towards abstraction . They are looked at, but they don’t look back.

A different regime would be represented by the presence of livestock, the use of hand-carts
and dung-heaps which have been piled up and established for generations. These images
would reflect a bygone era. In some places the gap of one or two generations just allows a
view of the building structure. Fehse’s buildings transform the development which has gone on
for generations into a substrate, they are close to architectural models. By painting them, the
artist effectively rebuilds them and erects the framework of a once rural settlement which has
undergone a structural change.

Hannelore Fehse applies strong contrasts. A brightly illuminated wall directly adjoins an unlit
part. A spotless white face of a building supports a roof dark as if it were night. The artist is
freeing herself from concrete lighting conditions; she leaves the constraints of the moment
and creates her own time. There, buildings are emerging as if from memory. Presumably this is
the reason for the tranquillity.

Between the extreme of drawing and painting she is clearly moving towards painting, with a
strong inclination towards graphic art. She creates herself a constructive framework, defines
the outlines and opens the areas. She removes the depth of space and dissolves the volumes.
By means of positive-negative effects she turns certain properties into something like an
architectural symbol.

Reduction doesn’t mean just omitting something; it equally stands for moving from a specific
to a general approach. Fehse’ paintings contain both specific and general approaches. The
buildings in the villages display specific differences, while in her paintings, to a certain extent,
they become unspecific. By the removal of trees and streets, horizon and surroundings, the
artist eliminates their singularity. However, in return the typical regional characteristics are
revealed.

Hannelore Fehse can be called a painting chronicler. The subjects she captures in her pictures
are in the course of vanishing, in many places they have nearly disappeared. The artist
recollects them once again. She is alternating between the hope, that the proportions of these
buildings and villages tell us the story of beauty, which is worth keeping and the prophesy that
it might be too late. She is alternating between what she is able to perceive and what she
must see. Her paintings contain desire and sadness. The change will continue, we cannot stop
it, but we may regret it and join the artist in calling it a loss.

Dr.Uwe Degreif, Museum Biberach, Braith-Mali-Museum